lieutenant reiko himekawa, mordkommission

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Ich ging zur Polizei, wurde Lieutenant und habe ein Team, das für mich arbeitet. Die Polizei schätzt mich für das, was ich bin.  …Ich denke schon an eine Ehe, aber nur wenn ich einen Mann finde, der mich so akzeptiert, wie ich bin – der vor allem akzeptiert, was ich erlebt habe, mein Leben als Polizistin, als Lieutenant, all das. Ich bin doch kein Freak…

aus: “The Silent Dead“ (eigene Übersetzung)

In einer Organisation mit strenger Hierarchie und stringenter Befehlskette

Ich stieß zufällig auf 2 Kriminalromane aus Japan: der Beginn einer neuen Serie – und ich bin überzeugt, dass die Übersetzungen der weiteren Romane ganz schnell folgen werden.

Reiko Himekawa ist zwar erst 29 Jahre alt, aber schon Lieutenant bei der Mordkommission der Kriminalpolizei Tokios (mit einem Schreibtisch in der Zentrale!); sie leitet sogar schon ein eigenes Team von 4 Mitarbeitern. Was für eine Karriere für eine Frau in Japan in dieser immer noch sehr klassisch orientierten Gesellschaft, wo – mein persönlicher Eindruck (!) – Frauen verheiratet werden, Kinder bekommen und glücklich bis ans Ende ihrer Tage Ikebana üben. Falls doch einmal eine Frau in Japan einen Job haben sollte, dann ist sie meist Sekretärin oder PA oder verantwortlich für das Servieren des Tees oder eine Arbeiterin… jetzt aber: Platz für Reiko!

Reiko ist – soweit ich bisher gelesen habe – die einzige Frau in einer Männerwelt. Warum ist sie überhaupt bei der Polizei? Jetzt gibt es ein paar intime Details…

Mit 17 Jahren wurde sie überfallen, als sie abends durch einen Park nach Hause eilte. Sie wurde vergewaltigt und übel misshandelt. Der Vergewaltiger wurde gefunden und angeklagt – aufgrund der unermüdlichen Anstrengungen von Michiko Sata, einem weiblichen Detective, die sich intensiv um Reiko kümmerte. Bei der Verhaftung des Vergewaltigers wurde Michiko getötet. Reiko war verzweifelt. Später vor Gericht versuchte der Verteidiger Reiko in die Enge zu treiben, indem er andeutete, dass Reiko seinen Klienten animiert habe und dass es einverständlicher Sex gewesen sei usw. Reiko dachte an Michiko, stand auf, sprach über den Vorfall und hinterließ eine unmissverständliche Botschaft. Alle Polizisten im Gericht applaudierten und gratulierten ihr zu ihrem Mut. Danach beschloss Reiko, ein Detective bei der Tokioer Polizei zu werden.

Der Vorfall ereignete sich vor 12 Jahren, aber Reiko ist immer noch zu ängstlich, um gerade in Sommernächten durch Parks zu laufen, hat Albträume und bekommt Panikattacken, wenn sie daran denkt… All das wird gleich im 1. Band der Serie enthüllt. Glücklicherweise akzeptiert Reiko inzwischen langsam ihre Vergangenheit und versucht, mit dem Vorfall abzuschließen. Nichtsdestotrotz ist sie verletzt und schockiert als ein Rivale – auch ein Lieutenant – absichtlich eine Andeutung fallen lässt. Reiko hat niemals irgendeinem Kollegen etwas über den Vorfall erzählt.

Die Polizei in Japan ist streng organisiert und kennt viele Hierarchieebenen & Dienstgrade: alles dreht sich um die Rangordnung. Alles ist geregelt, jeder hat seinen Platz und handelt entsprechend seiner Anweisungen. Überall und immer wieder ist aber auch eine spezielle Rücksichtslosigkeit zu beobachten, die eher unbekannt ist, wenn die westliche Polizeiwelt betrachtet wird. Jeder – oder fast jeder – möchte Karriere machen. Auf Reikos Ebene gibt es mehr als einen Lieutenant, der sich profilieren möchten, um die nächste Stufe der Polizeihierarchie zu erklimmen. Wenn alle Lieutenants am gleichen Fall arbeiten, sind diese Ambitionen tödlich: der Fall, die Opfer und die Verdächtigen scheinen in den Hintergrund zu rücken und werden Mittel zum Zweck für taktische Karriereschachzüge. Die Lieutenants versuchen, sich gegenseitig auf Kosten der Wahrheit und der Gerechtigkeit auszustechen.

In solch einer Umgebung ist es unbedingt notwendig, sich auf sein Team verlassen zu können. Das Team steht immer hinter seinem Teamleader – das gilt auch für Reiko. Ihr Team besteht aus Detectives: 2 Sergents (älter als Reiko) und 2 Officers (jünger als Reiko). Das karrieregetriebene Gemauschel der Lieutenants bezieht die Teammitglieder ein; Konfrontationen sind an der Tagesordnung.

Die tägliche Arbeit ist stressreich: wenn es einen Mordfall gibt, scheinen sich alle Polizeikräfte auf diesen Mordfall zu konzentrieren. Da gibt es keinen einsamen Lieutenant mit einem kleinen Team, der allein für die Lösung des Falls verantwortlich ist: da agieren immer mehrere Lieutenants mit ihren Teams und sind damit beschäftigt, Informationen zu sammeln, zu analysieren, Interviews durchzuführen, Listen aufzusetzen über alles-und-nichts… Von der Anzahl her denke ich, dass die gesamte Mannschaft bei einem Mordfall 50 bis zu 100 Personen (oder sogar noch mehr) umfassen kann, aber alle und alles sind immer perfekt organisiert.

Es gibt immer einen Team-Room, der speziell für den Fall aufgebaut und ausgestattet wird. Jeden Abend gibt es ein Treffen aller Detectives aller Rangstufen mit den „Chefs“ – und natürlich erscheinen auch diese en masse, nehmen am Kopfende des Raums Platz und haben alle anderen Dienstgrade im Blick. Ergebnisse werden präsentiert, Entscheidungen werden von den „Chefs” getroffen, Aufgaben werden definiert und als Ziele für den nächsten Tag zugeordnet. Jeder Lieutenant mit seinem Team bemüht sich immer, die vielversprechendsten und interessantesten Aufgaben zu bekommen. Die „Chefs” entscheiden auch, wann es an der Zeit ist, kollektiv einen Tag freizumachen, denn natürlich ist ein Mordfall grundsätzlich immer eine 24/7-Sache.

…und natürlich gibt es die üblichen Problem mit Überstunden, die Reiko und ihre Kollegen mit allen anderen Polizisten in der Welt teilen – außer, dass sich japanische Polizisten sehr viel stärker engagieren und ihren Job sehr ernst nehmen: sie nehmen sogar eigenes Geld in die Hand, um Information zu kaufen, damit sie vorankommen und Erfolg haben.

Bis jetzt hatte Reiko es mit 2 Mordfällen zu tun – und beide sind wirklich nicht von schlechten Eltern.

Erst einmal wird ein Toter gefunden, der brutal ermordet worden ist. Reiko sieht sich den Fall an und stößt auf weitere Tote, die schon Wochen und Monate früher ebenso brutal ermordet worden sind. Schritt für Schritt deckt sie ein tödliches Spiel auf. Schließlich wird nicht nur eines ihrer Teammitglieder getötet, sondern auch Reiko wird schwer verletzt. Der Mörder ist ein Produkt der modernen japanischen Gesellschaft, wo privilegierte Menschen Kinder in die Welt setzen, die wiederum mit den ererbten Privilegien nicht klar kommen und außer Kontrolle geraten.

Im nächsten Fall betritt endlich Japans allmächtige Yakuza die Bühne. Es sieht so aus, als ob die Yakuza ein langfristig wirkendes Versicherungsbetrugssystem aufgebaut haben. Aber da gibt es dann einen Yakuza, der die Yakuza-Regeln bricht und aus dem Club hinausgeworfen wird – nur um sein eigenes System aufzubauen. Nach ein paar erfolgreichen Jahren geht es schief, was zu einem Mord führt, und dem nächsten Mord…

Reikos Rolle ist schwierig, denn sie ist eine Frau in einer Männerwelt, sie denkt unkonventionell und hat ihre eigene Sicht der Dinge. Sie hat manchmal dieses verdammte Bauchgefühl und riskiert ihre Karriere um einer Spur ohne vorherige Absprache mit den „Chefs“ zu folgen. Natürlich hat sie immer Glück… Manchmal fühlt es sich sogar so an, als ob ihre männlichen Kollegen sie trotz aller Anfeindungen dafür respektieren.

Natürlich sind da auch männliche Kollegen, die sie für eine attraktive Frau halten und ihr nachstellen – bis jetzt ohne Erfolg.

…und natürlich schließt sie sich auch immer ihren Kollegen an, wenn die ganze Nacht hindurch in Bars gefeiert und getrunken wird…

Reiko und die Männer… Reikos Familie schleicht durch die Romane. Reiko ist die älteste Tochter und hat eine jüngere Schwester, die verheiratet ist und Kinder hat. Reiko ist schon 29, immer noch unverheiratet und sehr nahe an der Verfallsgrenze. Anscheinend muss jede respektable Frau bis spätestens 30 verheiratet sein – das ist zumindest das Credo von Reikos Mutter, die sich verzweifelt bemüht, Rendezvous mit respektablen potenziellen Schwiegersöhnen zu arrangieren. Reiko ist verzweifelt, weil sie – natürlich – noch zu Hause lebt und mit ihrem sozialen Elend tagtäglich konfrontiert wird. Daher ist sie auch immer glücklich, wenn es einen großen Mordfall mit vielen Überstunden gibt, so dass sie einfach in einem Hotel in der Nähe des Polizeipräsidiums übernachten kann. Sie lebt halt zu Hause, sie hat kein Auto – also hat sie genug Geld für diese speziellen Vergnügungen. Im übrigen fahren japanische Polizisten Metro/UBahn/Zug oder nehmen Taxis, wenn sie arbeiten.

Ist Reiko eine moderne japanische Feministin? Ich denke nicht. Sie liebt ihre Arbeit und sie ist ehrgeizig. Obwohl sie nicht so hinterhältig ist wie ihre männlichen Kollegen, wenn es um Karrierevorteile geht, versucht sie immer knallhart, das Beste aus ihren Ergebnissen und ihrer Vorgehensweise bei den Ermittlungen zu machen. Wäre sie gern verheiratet? Ja, aber… sie wird – ganz sicher! – niemals ihren Job für ein Familienleben aufgeben.

Zum Schluss sollten wir noch kurz das spezielle japanische Flair der Romane erwähnen. Die geheimen, versteckten Abgründe der japanischen Gesellschaft, die Fremdartigkeit und die manchmal so andersartigen täglichen Gewohnheiten sind einer der Erfolgsfakten der Serie: es ist irgendwie neu, unbekannt… und immer interessant. (Aus meiner Sicht kann ich nur feststellen, das das „geheimnisvolle Japan“ immer ein wertvoller Aktivposten in Romanen bedeutet.)

In den Romanen wird die Welt nicht nur durch Reikos Augen gesehen, sondern es gibt immer wieder kurze Abschnitte & Kapitelchen, in denen der/die Mörder und ihre Komplizen zu Wort kommen – manchmal mit Blick in die Vergangenheit: es ist dann, als ob wir auf beiden Seiten des Tisches sitzen.

Die Romane sind in Japan ein großer Erfolg und wurden für das TV verfilmt (nicht bei uns erhältlich).

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a faint cold fear thrills through my veins ... william shakespeare