leon ritter, ein rechtsmediziner in der provence

Print Friendly, PDF & Email

Dieser Beitrag enthält Werbung – advertising.

zu den Büchern & mehr

Leon fühlte sich in seinem muffigen Mietwagen plötzlich verloren wie ein Astronaut im Weltall. Vielleicht war diese ganze Frankreich-Idee Schwachsinn. Er hätte auf seine innere Stimme hören sollen. Klar, das Angebot hörte sich verlockend an: Médecin légiste, Gerichtsmediziner, an der Klinik in Hyères. Das klang nach Palmen, Meer und kühlem Rosé am Strand bei Sonnenuntergang. Du bist ein verdammter Träumer, dachte Leon, sei doch mal Realist. Was ist denn so großartig hier unter? Es ist heiß, die Leute sind unzuverlässig, man bescheißt dich mit dem Mietwagen, und zum Frühstück gibt es nicht mal richtige Brötchen. Er würde bestimmt noch den Tag verfluchen, an dem er ja zu dem Job gesagt hatte.  
Und weil Leon als Sohn einer französischen Lehrerin und eines deutschen Biologieprofessors zweisprachig aufgewachsen war und auch einige Semester lang in Paris an der Universität Descartes studiert hatte, sprach er außerdem ein nahezu akzentfreies Französisch. Das Angebot, das ihm die Klinik gemacht hatte, klang verlockend. Er würde es hauptsächlich mit Routineuntersuchungen zu tun haben und könnte parallel weiter an seiner Studie arbeiten, mit der er sich eines Tages habilitieren wollte.  …
Wenn er ehrlich war, ging es ihm gar nicht um den Job. Das war nicht der wahre Grund, warum er zugesagt hatte. Er hatte unterschrieben, weil er die Schnauze voll hatte. Er wollte weg aus Frankfurt, weg von all denen, die sich ständig besorgt nach seinem Befinden erkundigten, weg von seinem kleinen Haus im Taunus, das voller Erinnerungen an Sarah steckte. Sie war nicht mehr da, sie war tot. Er musste die Vergangenheit endlich loswerden. Verdammt nicht mal, er war 48 Jahre alt, da hat man das Recht, noch mal neu anzufangen. Das Jobangebot in der Provence erschien Leon wie ein Wink des Schicksals, wie ein Aufbruch in eine andere Welt. Genau das war es, was er wirklich suchte: ein neues Leben.

aus: Tödlicher Lavendel

Vom Leben in der lieblichen Provence

Dr. Leon Ritter – also Leon – erlebt eine Provence, von der alle träumen. Da ist das gute Essen und der eisgekühlte frische Rosé, der immerblaue Himmel und die warme Sonne, das Meer, die Aussicht über das Meer aus den Bergen heraus … Es geht alles seinen Gang – mit provenzalischer Langsamkeit.

Es treffen sich Boule-Spieler vor dem Café und Leon darf mitspielen. Das Café hat Charme und Leon ist bezaubert davon: genau der richtige Platz für einen Café oder einen Noisette dann und wann. Leon schließt Freundschaften. Es gibt natürlich die Touristen, die schon etwas lästig werden können, aber gutes Geld zurücklassen – und sobald sich der Sommer dem Ende entgegen neigt, dünnen die Horden merklich aus und verschwinden.

Leon genießt es schon bald, sein Leben neu zu erfinden. Überraschend erbt er von seiner Tante (s. die französischen Vorfahren!) ein kleines Weingut und beschließt, das zugehörige Sommerhaus wieder bewohnbar zu machen… und träumt vom Wein aus dem eigenen Weinberg.

Ich war entzückt, wieder einmal eine französische Krimiserie aus deutscher Produktion zu lesen und von Südfrankreich träumen zu können. Wer will denn nicht im sonnigen, lebensfrohen Süden ein paar Wochen Urlaub machen – oder gar dort wohnen, ein bisschen arbeiten und vor allem das französische dolce far niente mit Wein, Oliven und frischem Baguette genießen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Leon jemals wieder zurück ins graue Frankfurt möchte …

… aber da ist dann auch noch ein kleines Problem: Es ist nicht alles so schön und idyllisch wie es scheint! Leon ist immerhin Rechtsmediziner …

In der Provence sind nicht nur Taschendiebe zwischen den Touristen aktiv, werden nicht nur hier und da Fahrräder geklaut oder Zigaretten geschmuggelt. Es gibt Tote, häßliche Tote, viele Tote.

Gleich zu Beginn der Romanserie wird ein Mädchen vermisst – für die Polizei nicht so ungewöhnlich, denn es ist Hochsaison und kleine Mädchen verlaufen sich, bleiben bei Freundinnen, mit denen sie in den letzten Urlaubstagen zusammen gespielt haben … Aber dann wird die Leiche des Mädchens gefunden – irgendwo in den Bergen, wo kleine Mädchen nichts verloren haben.

Die Polizei, d. h. der Polizeichef von Le Lavandou (charakteristisch für alle Romane!) möchte den Fall gern schnell zu den Akten legen: das kleine Mädchen hat sich verlaufen, ist immer weiter in die Berge hinein gelaufen anstatt zurück zum Campingplatz zu gehen. Dann wurde es dunkel und sie ist gestürzt, schwer gestürzt, mit dem Kopf aufgeschlagen und gestorben. Der Polizeichef möchte kein Aufsehen, keine Unruhe, denn die Touristen bringen Geld und dürfen nicht beunruhigt werden – nur kein Kindesmörder in Le Lavandou!

Leon macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Obwohl erst einen Tag vor Ort und eigentlich noch in Urlaub – unfreiwillig, da die provenzalische Mentalität in der Klinik Termine verschludert hat, obduziert Leon die Leiche und stellt fest, dass das Mädchen ermordet wurde. Dann verschwindet das nächste Mädchen…

Leon kann es nicht lassen und beginnt selbst zu ermitteln – zum Ärger des Polizeichefs. Nun: Leon ist intelligent, hat Ideen und kann Fakten analysieren und kombinieren; er ist schließlich einer der besten Pathologen. Leon gräbt immer tief, manchmal schießt er über das Ziel hinaus, aber am Ende findet er immer den Täter und das Motiv.

Ebenso läuft es mit den verschwundenen jungen Frauen, mit denen Leon sich im nächsten Romans beschäftigen muss. Danach kommt eine Serie von schrecklich zugerichteten Leichen auf ihn zu… und dann wieder verschwundene Kinder… Die Fälle haben immer eine Vergangenheit, die die Polizei nur zu gern ignoriert, aber von Leon meist mühsam aufgedröselt wird und überraschende Erkenntnis birgt. Ja – die Romane sind spannend!

Aber die Polizei besteht nicht nur aus dem Polizeichef, sondern auch aus seiner Vertreterin, Capitaine Isabelle Morell, die mit ihrem Team eher geneigt ist zu ermitteln und nachzuforschen. Wie der Zufall es so will, gerät Leon auf der Suche nach einer Bleibe gleich nach seiner Ankunft an Isabelle, die ab und zu ein Zimmer in ihrem Haus vermietet. (Auch dies eine Folge des provenzalischen Flairs: durch den Terminsalat in der Klinik war nämlich auch keine Unterkunft für Leon gebucht worden – mitten in der Hochsaison!)

Isabelle ist geschieden und hat eine Tochter im Teenageralter, die immer nur Unsinn im Kopf hat – wie halt alle Teenager – und alles besser weiß als die Mama – wie alle Teenager. Aus der provisorischen Übernachtungslösung wird schnell eine solide Lösung; Isabelle und Leon kommen sich näher und näher… schließlich spricht niemand mehr davon, dass Leon wieder ausziehen wird. Beide genießen auch die Zweisamkeit auf Leons Weingut, das Leon Schritt für Schritt renoviert.

Kein Glück bleibt ungetrübt, denn die Verbrechen schlagen bis in die familiäre Idylle durch: Isabelles Tochter wird Ziel der Täter, Isabelle wird bedroht und auch Leon muss zeigen, dass er mit seinen 48 Jahren noch fit genug ist, um Isabelle und ihre Tochter zu retten.

Die liebliche Provence ist manchmal auch recht unwirtlich und gefährlich. Trockene Sommer verursachen Waldbrände, heftige Regenfälle sorgen für Überflutungen – und mittendrin ist Leon auf der Jagd nach den Tätern. Es wird ihm dabei schon so manches abverlangt und er kehrt auch nicht immer ohne Blessuren zurück in sein Heim.

Insgesamt ist die Serie eine perfekte Mischung aus deutscher Gründlichkeit und Wissenschaft, provenzalischem La Dolce Vita, Leichtigkeit und Urlaubsträumen, grausamen Verbrechen, französischer Vetternwirtschaft, Freundschaft und Liebe, Naturgewalten und Action.

Ich habe es genossen, die Romane zu lesen und mich ins zauberhafte Südfrankreich entführen zu lassen, wo nicht alles so beschaulich ist – aber wohl auch nicht so Action-getrieben wie in den Romanen! (Aber dafür sind es halt Romane!)

Spread the word. Share this post!

a faint cold fear thrills through my veins ... william shakespeare