joe leaphorn und jim chee aus der navajo nation

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Er schwang den Stuhl herum und schaute auf die Karte der Reservation, die fast die ganze Breite der Wand hinter ihm bedeckte. Drei Nadeln markierten die Fälle, um die es ging. Eine nicht weit von Window Rock, eine weiter oben, an der Grenze zwischen Arizona und Utah, und eine im Nordwesten, im menschenleeren Gebiet am Big Mountain. Die Nadeln bildeten ein Dreieck, dessen Schenkel ungefähr gleich lang waren, jeder Tatort lag vom anderen rund 120 Meilen entfernt. Und während er so auf die Karte starrte, ging Leaphorn durch den Kopf, daß aus dem Dreieck beinahe ein Rechteck geworden wäre, dann nämlich, wenn der Mann mit der Schrotflinte Chee getötet hätte. Dann hätte er es mit vier ungeklärten Mordfällen zu tun gehabt. Er wischte den Gedanken weg. Die Sache mit Chee war kein ungeklärter Fall. Die Dinge lagen viel einfacher. Sie mußten nur herausfinden, wo der Officer Dreck am Stecken hatte. Ein Dienstvergehen mußten sie aufdecken – und den Mann finden, mit dem Chee, bevor er ihn einsperren ließ, anscheinend ziemlich unsanft umgesprungen war. Es war – anders die Fälle, die sich hinter den drei Nadeln verbargen – kein Verbrechen, bei dem das Motiv fehlte. …
Überall in der Tribal Police kannte man Leaphorns Karte, manche hielte sie für den Ausdruck seiner Verschrobenheit. Er hatte sie auf eine Korkplatte gezogen und hinter seinem Schreibtisch an der Wand aufgehängt. Es war die vom südkalifornischen Automobilklub herausgegebene «Indian Country»-Karte, die als besonders detailgetreu galt und wegen ihren großen Maßstabs allgemein beliebt war. Das Besondere an Leaphorns Karte war die Art, wie er sie benutzte.
Sie war mit Hunderten bunter Nadeln gespickt, jede Farbe stand für ein bestimmtes Vergehen oder Verbrechen.

aus: Die Nacht der Skinwalkers

Verbrechen in einer atemberaubenden Landschaft

Die Navajo Nation umfasst rund 67000 Quadratkilometer in Arizona, Utah und New Mexico. Hier finden sich das Monument Valley, der Canyon de Chelly, der Antilope Canyon und die Mesas – kurzum: Diese einzigartige Landschaft, die weithin als Marlboro Country bekannt ist und eine beliebte Kulisse für Western darstellt, ist der Tummelplatz von Joe Leaphorn und Jim Chee.

Es ist eine weite und recht leere Landschaft: weniger als 3 Menschen leben statistisch gesehen auf einem Quadratkilometer. Die Navajos mögen die Einsamkeit und schaffen sich gern ein Zuhause für ihre Hogans bzw. Campingwagen weit weg von anderen. Das bedeutet natürlich nicht, dass es zwischen den abgelegenen Orten keine Kommunikation, kein Palaver, keinen Klatsch und Tratsch gibt.

… und natürlich gibt es Verbrechen.

Leaphorn und Chee sind Teil der Navajo-Stammespolizei, die für Recht und Ordnung in der Navajo Nation sorgt. Ihr Zuständigkeitsbereich mag begrenzt sein – oft müssen sie mit den verschiedenen Einheiten der Staatspolizei oder dem FBI zusammenarbeiten … – aber ihr Revier scheint grenzenlos zu sein. Mit ihrem 4WD müssen sie im Laufe eines Tages bzw. einer Woche ziemlich viele Kilomater zurücklegen.

Verbrechen … welche Verbrechen gibt es?

Es gibt Bagatelldelikte wie Vieh- oder Pferdediebstahl, Beleidigungen und Rachegelüste, die sich über Jahrzehnte erstrecken. Es gibt Fälle von Einbruch und Betrug, tödliche Unfälle, die von betrunkenen Fahrern verursacht werden … und es gibt Morde. Vor allem, wenn irgendwo eine Leiche gefunden wird oder sich sogar die Leichen mit einem Mal häufen, sind die Fähigkeiten von Leaphorn und Chee sehr gefragt.

Es braucht Zeit, um die Hintergründe eines jeden Mordes aufzuklären. Oft sind nicht nur die Bewohner der Navajo Nation involviert, sondern auch … Leute von außerhalb, die in dem Indianerreservat geschäftig agieren – ob Archäologen, ob Sammler von Artefakten, ob Spione, ob Drogenhändler, ob Unternehmer … Auch Navajos selbst haben manchmal nicht nur Gutes im Sinn – sei es aus Ehrgeiz oder Gier, sei es aus politischen Gründen, um das politische Establishment zu stürzen.

Es gibt Romane mit Leaphorn, es gibt Romane mit Chee – und es gibt Romane, in denen beide zusammenarbeiten. Während Leaphorn auf der einen Seite erfahrener ist und methodischer arbeitet, ist Chee oft spontan und wird von seiner persönlichen Neugierde getrieben. Beide haben ein großartiges Gespür für alle offenen Ecken und Kanten eines Falls. Dabei vernachlässigen sie nicht ihren ureigenen Navajo-Hintergrund, der sehr oft über die Kooperation der Navajos sowie Informationen zu versteckten Motive und privaten Beweggründen liefert.

Der mythische Hintergrund der Navajo-Religion, der mit der Landschaft eng verwoben ist, bildet das Umfeld, in dem sich alles abspielt. Geschichten über die Navajo-Götter – oder wie auch immer man diese Figuren nennen mag – und ihre Schlachten und Vermählungen … all das wird in den Romanen deutlich, denn das Volk der Navajo lebt mit seinen Mythen und seiner Geschichte. Vor allem die Hexen, die Hexerei, die Zauberei … bevölkern die Gedanken eines jeden Navajo, ob er nun in Angst vor ihnen lebt, oder wenn es darum geht, merkwürdige Ereignisse mit (tödlichen) Kollateralschäden zu untersuchen.

Chee besuchte das College/die Universität, aber er möchte auch ein Hataalii werden, ein zeremonieller Sänger und Heiler. Er soll der FBI-Akademie beitreten, aber er verzichtet darauf. Die Natur der Navajo Nation, der Geist der Navajo und der außergewöhnliche Lebensstil lassen ihn nicht los. Selbst seine Beziehung zu einer Lehrerin, die keinem Indianerstamm angehört, geht in die Brüche, als ihre unterschiedlichen Kulturen aufeinanderprallen – ein sanfter Zusammenstoß. Später begegnet Chee seinem Schicksal – einer anderen Frau.

Leaphorn verliert seine Frau an einen Hirntumor, ist am Boden zerstört, versucht sogar, seinen Job aufzugeben, aber langsam findet er zu seinem alten Selbst zurück. Schließlich lernt er eine Frau kennen … und eine neue Beziehung entsteht. Dann zieht er sich zurück, um seinen Lebensabend zu genießen, aber er bliebt sich auch hier treu und wird zum Privatdetektiv mit ausgezeichneten Verbindungen zu allen Polizeieinheiten in der Navajo Nation und drumherum.

Beim Lesen eines der Romane von Leaphorn und Chee taucht man nicht nur tief in das Privatleben der beiden Polizisten ein, sondern erfährt auch eine ganze Menge über die Navajos, ihre Mythen und täglichen Probleme. Jedes Verbrechen steht in irgendeinem Zusammenhang mit allem, was die Navajo Nation ausmacht. Die Romane sind recht einzigartig vor dieser kleinen Welt, während die Verbrechen andererseits so brutal sind wie überall sonst.

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a faint cold fear thrills through my veins ... william shakespeare