ana martí, eine enthüllungsjournalistin

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«Man kann die Sache nicht unter den Teppich kehren. Mariona Sobrerroca ist zu bekannt, und die Familie, vor allem ihr Bruder, hat beste Verbindungen, hier und in Madrid. Deshalb halten es die Behörden für besser, wenn über die Ermittlungen berichtet wird und wir zeigen, mit welcher Tatkraft unsere tüchtige Polizei die Untersuchung durchführt.»
Die Anführungsstriche in Sanvisens’s letztem Satz waren nicht zu überhören.
«Und wenn herauskommt, dass jemand aus ihrer Familie oder ihrem Freundeskreis sie umgebracht hat, jemand aus der besseren Gesellschaft?», fragte sie.
In Anas Vorstellung erschienen, wie die Blätter eines Fotoalbums, verschiedene Bilder aus dem Gesellschaftsteil der Zeitung: Mariona Sobrerroca in der Oper, im Abendkleid und neben den Frauen hochrangiger Politiker; Mariona von Kindern umringt auf einer Veranstaltung des Sozialen Hilfswerks, Mariona bei einer Versammlung der Sección Femenina, der franquistischen Frauenorganisation. Mariona beim Hochamt, auf Empfängen, auf Bällen.
«Ein Paradebeispiel dafür, das wir vor dem Gesetz alle gleich sind.» Die Ironie war nicht aus der Stimmen des Chefredakteurs gewichen. «Aber danach sieht es nicht aus, wahrscheinlich war es ein Raubmord. Wie auch immer, wir werden darüber berichten. Exklusiv.»
Mateo Sanvisens machte eine Pause und blickte suchend auf seinem Schreibtisch umher.
«Die Ermittlungen werden von Inspektor Isidro Castro geleitet, von der Brigade de Investigación Criminal.»

aus: Das Flüstern der Stadt

Gefährliche Ermittlungen

Ana Martí ist eine junge Journalistin, extrem neugierig und abenteuerlustig. Insgesamt ist das eine gefährliche Kombination, denn Ana lebt in den 50er Jahren in Spanien, wo der Caudillo Francisco Franco das Sagen hat und dessen Mitstreiter alle Macht im Lande haben.

Es gibt keine freie Presse; alle Veröffentlichungen werden kontrolliert und korrigiert, wenn sie nicht ins Bild des Landes passen. Ana kennt die Spielregeln und hält sich daran – denn sonst könnte sie nicht arbeiten. Dennoch passiert es, dass sie von einer Story so fasziniert ist, dass sie nicht loslassen kann und eigene Ermittlungen anstellt. (Achtung: Dies bedeutet nicht, dass ihre Erkenntnisse auch gedruckt werden!)

Hinzu kommt, dass Ana oft vergisst, in welchem Land und unter welchem Regime sie lebt. Sie ist sorglos und geht Risiken ein, um ihre Vermutungen zu verifizieren. Einmal ist da die Staatsmacht, die ohne weiteres Menschen verschwinden lassen kann, andererseits sind da die Übeltäter, die nicht mit der Wimper zucken, wenn es darum geht, sich selbst zu schützen und Bedrohungen zum Schweigen zu bringen. Kurz: Ana ist eine Enthüllungsjournalistin, auch wenn dieser Begriff damals in den 50er Jahren wahrscheinlich noch gar nicht geläufig war, die gern in gefährlichen Gewässern herumschwimmt.

In welchem Spanien lebt Ana?

Sie lebt in Barcelona. Es ist auch damals schon eine glänzende Metropole mit einer Oberschicht, die sich gern auf Bällen und Wohltätigkeitsveranstaltungen zeigt. (Darüber berichtet Ana – sie ist eigentlich Gesellschaftsreporterin, ihr Brot-und-Butter-Geschäft.) Erfolgreiche Geschäftsleute, Karrieremilitärs, einflussreiche Politiker und die Kirche bilden eine recht geschlossene Gesellschaftsschicht, die sich das Recht einräumt, das Sagen zu haben – in allen Dingen.

Daneben gibt es auch noch diejenigen, die vor dem Krieg und der Franco-Ära auch dazu gehörten, aber aufgrund ihrer politischen Einstellungen ihre Privilegien verloren haben. Anas Vater ist einer von ihnen, der einst als einflussreicher Chefredakteur einer großen Tageszeitung arbeitete, seinen Job aber verlor, ins Gefängnis musste und inzwischen sich und seine Familie mit dem Schreiben von Groschenromanen über Wasser hält. Bei Ana sorgt ihre Abstammung zwar für eine gewisse Reputation, aber sie weiß auch, dass alle wissen … Außerdem hat sich Ana angewöhnt unter Pseudonym zu schreiben; sie benutzt mehrere.

Ana trifft immer wieder auf Menschen, die angezeigt wurden, verleumdet wurden, gefoltert wurden, ins Gefängnis kamen … oder deren Familienangehörige hingerichtet oder einfach verschwunden sind. Es ist kein Geheimnis, was passiert ist und was immer noch geschieht; es ist ein Teil des Alltags.

Neben der Oberschicht gibt es als Kontrapunkt die Unterschicht, die pauschal verdächtigt wird, linke Ideen zu pflegen, zu stehlen und sich nur durch Lug und Betrug durchs Leben zu schlagen. Diese Unterschicht ist extrem arm und oft ungebildet; es hapert am Lesen und Schreiben. Allerdings ist die Kirche allgegenwärtig und sorgt für Gehorsam, wenn die Schäfchen abtrünnig werden.

Alles in allem ist es eher ein trauriges Spanien, wenn man an das heutige Spanien denkt.

Ana übt sich also erst einmal im Schreiben von Gesellschaftsnachrichten. Sie möchte allerdings nur zu gern über Kriminalfälle schreiben. In den 50er Jahren ist der Journalismus eine Männerdomäne. Es ist gerade noch erträglich, dass eine Frau über Abendkleider und Bälle schreibt, aber alles andere erledigen ihre männlichen Kollegen. (Ganz einmal davon abgesehen, dass damals der Werdegang einer gebildeten jungen Frau nicht so aussah, dass sie überhaupt berufstätig wurde, sondern dass sie ganz schnell heiratete, Kinder bekam und den Haushalt versorgte.) Ana muss also auch dieser Front kämpfen.

Doch dann scheint sie Glück zu haben und darf über einen Mord an einer Dame der Gesellschaft berichten. Sie wird von Beginn an instruiert, wie und was sie zu schrieben hat – und sie macht die Bekanntschaft von Inspektor Castro, einem guten Ermittler, der aber auch gern mal zuschlägt. Ärger ist vorprogrammiert, denn Ana beginnt ihre eigenen Untersuchungen, die auch zu einem Ziel führen und das Verbrechen aufdecken. Castro will den Fall schnell abschließen, aber Ana deckt Verwicklungen auf, die einflussreiche Zeitgenossen betreffen, es gibt noch ein paar Tote …

Kurz: der Fall wird zwar geklärt bzw. einiges wird intern bereinigt, aber Anas große Story bleibt natürlich auf der Strecke.

In den nächsten Jahren arbeitet sich Ana mühsam vor und schreibt weiterhin unter Pseudonym für verschiedene Zeitschrift, unter anderem auch über Kriminalfälle. Castro begegnet sie häufiger. Ana wird immer wieder mit den krassen gesellschaftlichen Gegensätzen konfrontiert. Es ist ein mühsames Geschäft, denn die Obrigkeit möchte viel zu oft alles gern im Dunkel lassen.

Nach Jahren kehrt Ana dem Journalismus den Rücken und wird Schriftstellerin, auch wenn ihr erster Roman die Zensur nicht überlebt. Zur Freude ihrer Eltern, speziell ihrer Mutter, hat sie auch einen Partner gefunden, mit dem sie gemeinsam arbeitet und Enkel produziert. Nach ihrem letzten Abenteuer als Enthüllungsjournalistin sind es immerhin noch gut fünfzehn Jahre bis die Franco-Ära zu Ende gehen wird.

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a faint cold fear thrills through my veins ... william shakespeare